«Aufschieberitis» im Fitnesstraining

Kennen Sie Herrn B. Quem? Bestimmt! Er hat sich begeistert und hoch motiviert im Fitnesscenter angemeldet, anschliessend drei- bis viermal trainiert und ward dann nie mehr gesehen. Trotz intensiver Bemühungen des Trainerteams ist Herr B. Quem um keine Ausrede verlegen. Er hat einfach keine Zeit …

«Keine Zeit haben», das gibt es genau genommen nicht. Jeder Mensch hat Zeit. Die ehrliche Aussage würden lauten: «Mir sind andere Dinge im Leben wichtiger als das Fitnesstraining – deshalb bleibt mir keine Zeit dafür übrig».

Das psychologische Phänomen, das im Volksmund «Aufschieberitis» genannt wird, nennt sich im Fachjargon Prokrastination und beschreibt

  • das Aufschieben einer notwendigen, aber als unangenehm empfundenen Handlung
  • das Bewusstsein, dass das Aufschieben mit subjektivem Unbehagen oder anderen negativen Konsequenzen einhergeht
  • das Wissen, dass der Aufschub nicht durch äussere Zwänge erfolgt und eigentlich unnötig ist

Durch diese Definition grenzt die Psychologie das Phänomen der «Aufschieberitis» vom gezielten Aufschieben aufgrund tatsächlicher äusserer Engpässe ab.

Sie werden bemerkt haben, dass in jedem von uns ein kleiner Herr B. Quem steckt, und zwar in verschiedenen Bereichen des Lebens. Schnell wird das Vorurteil herangezogen, man sei zu faul oder habe keinen Durchhaltewillen. Doch das ist zu einfach. Schauen wir also einmal genauer hinter das psychologische Muster.

Das Aufschieben führt zu einem Gefühl der Erleichterung. Das Gehirn koppelt das Aufschieben nun mit diesem angenehmen Gefühl. Die Tendenz des Aufschiebens verstärkt sich. Die kurzfristige Erleichterung wird dann immer häufiger angestrebt und dem neuen Verhalten vorgezogen, das heisst, Aufschieben enthält eine negative Verstärkung.

Zunächst ist es Herrn B. Quem also durchaus bewusst, dass er trainieren sollte, er verbindet das Training jedoch nicht mit einem positiven Empfinden. Es ist anstrengend, er kommt ins Schwitzen, ist anschliessend erschöpft. Dazu der Aufwand zum Center zu fahren, die anderen Kunden, die er nicht kennt …

Die Verhaltenspsychologie kennt vier Einflussgrössen, die das Aufschiebeverhalten verstärken oder vermindern:

  1. Der subjektive Wert und der erhoffte Nutzen des neuen Verhaltens
    Wie hoch steht der Nutzen des Trainings auf der Prioritätenliste von Herrn B. Quem im Vergleich zu anderen Dingen in seinem Leben? Je höher der Wert, desto geringer die Tendenz aufzuschieben.
  2. Die Erwartung, sein Ziel durch die eigene Kompetenz erreichen zu können
    Ist Herr B. Quem davon überzeugt, dass er mit seinen Fähigkeiten sein Ziel erreichen kann, oder glaubt er insgeheim, zu wenig fit, zu unsportlich oder zu wenig konsequent zu sein? Je mehr er davon überzeugt ist, sein Ziel tatsächlich zu erreichen, desto geringer wird die Wahrscheinlichkeit der Prokrastination.
  1. Die Belohnungsfrist
    Damit ist der zeitliche Abstand zum gesetzten Ziel gemeint. Setzt Herr B. Quem klar definierte, realistische und vor allen Dingen kurzfristige Zwischenziele, die ihn positiv bestätigen, oder liegt das Ziel unklar definiert irgendwo in der Ferne? Je klarer und je näher das jeweilige Ziel vor Augen liegt, desto geringer wird das Aufschiebeverhalten.
  2. Die Fähigkeit zur Selbstkontrolle, Ablenkungen zu widerstehen
    Geht Herr B. Quem auch zum Training, wenn im TV sein Lieblingsfussballverein spielt oder seine Kollegen in der Badi sind? Ablenkungen gibt es unzählige. Je geringer die Empfindlichkeit gegenüber solchen Ablenkungen, desto geringer die Tendenz aufzuschieben.

Haben Sie vielleicht einen oder mehrere dieser Aspekte auch bei sich beobachtet?
Nun, dann wissen Sie jetzt, wo Sie den Hebel ansetzen müssen.

Der Wert Ihres Trainings muss an Attraktivität gewinnen. Dies kann durch die Verbindung des Notwendigen mit dem Angenehmen geschehen. Ein angenehmes Trainingsklima, die Verabredung mit Trainingskollegen, Training in kleineren Gruppen, häufige individuelle Betreuung durch Ihren Coach – das alles wirkt motivierend. Belohnen Sie sich selbst, wenn Sie Zwischenziele erreicht haben!

«Schreiben Sie sich ihre Trainingstermine fix in eine Agenda! Wenn sie nur dann trainieren, wenn etwas Zeit übrig bleibt, werden sie lange warten. Regelmässigkeit ist der Schlüssel zum Erfolg!»

Es braucht eigene Kompetenzerfahrungen. Wenn Sie Trainingsaufgaben erfolgreich umsetzen, erleben Sie das Bewältigen als positive Verstärkung. Die Schlüsselrolle spielt dabei Ihr Coach: Sind Ihre Trainingsübungen stets so, dass sie eine motivierende, aber erreichbare Herausforderung darstellen, oder ist das Training unter- oder überfordernd? Unterforderung führt zur Langeweile, Überforderung zu Frustration. Beides ist schlecht, denn das unangenehme Trainingsgefühl wird dadurch verstärkt.

Ist das gewünschte Ziel zu weit entfernt, können kurzfristige Zwischenziele helfen. Besprechen Sie diese so konkret wie möglich mit Ihrem Coach. Was wollen Sie bis wann erreicht haben?

Ist die mangelnde Selbstkontrolle die Hürde, sind sämtliche ablenkenden Faktoren zunächst zu benennen. Legen Sie anschliessend mit Ihrem Herrn B. Quem klare Abmachungen fest. Das Fussballspiel beispielsweise kann auch nach dem Training im Replay geschaut werden.

Wie gefährlich ist Aufschieberitis?
Ständiges Aufschieben kann zu Selbstzweifel, Unsicherheit und Unzufriedenheit führen. Die Stimmung ist gedrückt, und das Selbstwertgefühl leidet. Wer dieses Verhalten erlernt hat, wird gedanklich nicht abschalten können, das führt zu chronischem Stressempfinden. Dies wiederum erhöht die Tendenz zu gesundheitsschädlichem Verhalten wie zum Beispiel schlechter Ernährung, was weitere körperliche und psychische Folgen haben kann.

Am besten schicken Sie deshalb Ihren Herrn B. Quem direkt in die Wüste!